Mönch am Meer
INTERPRETATION
von Dr. Dr. Frank Hofmann
Erst die moderne Infrarot-Reflektografie brachte es ans Licht: Den „Mönch am Meer“ hat der Künstler viermal übermalt. Keine kleinen Korrekturen, sondern massive Eingriffe in das Motiv. Zunächst zeigte die Leinwand einen Mann im Seitenprofil neben Fischern, ihren Netzen und Booten, ein Segelschiff auf dem Meer und ein Viertelmond am Himmel. Was wir heute sehen: ein Mann in Mönchskutte von hinten steht auf einem kargen, unterspülten Strandabschnitt, schaut auf ein leicht bewegtes, dunkles Wasser, das am Horizont bruchlos in einen fast schwarzen Himmel übergeht. Zum Betrachter hin lichtet sich der Himmel in ein kräftiges, dann helles, milchiges Blau.
Zwei Jahre lang, von 1808 bis 1810, stand das Bild auf seiner Staffelei und nahm langsam seine heutige Gestalt an. Es brachte Friedrich einerseits Anerkennung in der zeitgenössischen Kunstszene ein, andererseits aber auch Befremden im Publikum, das eine solche radikale Reduzierung von Naturmotiven nicht gewöhnt war. Zu den begeisterten Betrachtern zählte der Theologieprofessor Friedrich Schleiermacher, der das Bild dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. zum Erwerb empfahl.
Schleiermacher wird in diesem Bild das gesehen haben, was er zehn Jahre vorher in seinem berühmten Frühwerk „Über die Religion – Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ erstmals formuliert hatte: Auch dem aufgeklärten, vernünftig denkenden Geist ist die Religion unersetzlich als Überwindung des Gegensatzes zwischen wahrnehmendem Subjekt und wahrgenommenem Objekt. Der Mensch mit „Sinn und Geschmack für das Unendliche“ wird eins mit der Welt und ihrem Schöpfer.
Diesen Aspekt menschlichen Daseins hatte Friedrich in einer der raren Selbstdeutungen seiner Werke, wohl aus einem Brief an den Freund Johannes Schulze, so ausgedrückt:
„Vorne ein öder sandiger Strand, dann das bewegte Meer, und so die Luft. Am Strande geht tiefsinnig ein Mann im schwarzen Gewande; Möwen fliegen ängstlich schreiend um ihn her, als wollten sie ihn warnen, sich nicht aufs ungestüme Meer zu wagen. – Dies war die Beschreibung, nun kommen die Gedanken: Und sännest du auch vom Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur sinkenden Mitternacht; dennoch würdest du nicht ersinnen, nicht ergründen, das unerforschliche Jenseits! Mit übermütigem Dünkel wähnst du der Nachwelt ein Licht zu werden, zu enträtseln der Zukunft Dunkelheit! Was heilige Ahnung nur ist, nur im Glauben gesehen und erkannt, endlich klar zu wissen und zu verstehn! Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strande; doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spur wird nicht mehr gesehen: Törichter Mensch voll eitlem Dünkel!“
Was Schleiermacher in seinen „Reden“ werbend den säkularen Intellektuellen zu bedenken gibt, ist bei Friedrich ins Polemische gedreht: Wer nur auf wissenschaftliche Erkenntnis setzt, auf Beobachtung und Vernunft, dem entgeht das Wesentliche, für das es Anschauung und Gefühl braucht.
Als Friedrich einmal den Dichter Johann Wolfgang Goethe besuchte, der sich bekanntlich als einen großen Naturforscher sah, bat dieser ihn, ihm doch die drei gerade wissenschaftlich erforschten Wolkenformen zu malen. Friedrich lehnte entrüstet ab und sagte sinngemäß: „Ich bin doch kein Illustrator für Sachbücher – die Wolken, die ich male, sind göttlicher Natur.“
Wer sich ein eigenes Bild machen möchte: Der „Mönch am Meer“ ist bis zum 4. August noch in der Alten Nationalgalerie in Berlin, ab dem 24. August dann bis 5. Januar 2025 im Dresdener Albertinum zu sehen.
Und wenn Sie die Stelle suchen, an der Friedrich vermutlich seine Skizzen für dieses Bild machte, dann ist der Göhrener Südstrand auf Rügen das richtige Ziel für Sie.