„Ein großer Seelsorger in unsicheren Zeiten.“
Der langjährige Catholica-Beauftragte der VELKD, Karl-Hinrich Manzke, hat Papst Franziskus als bescheidenen, zugewandten Menschen erlebt.

Der Catholica-Beauftragte der VELKD, Landesbischof Karl Hinrich Manzke, traf 2023 Papst Franziskus.
Papst Franziskus als Mensch
Seit 2014 bin ich Papst Franziskus vielfach begegnet – zu zahlreichen öffentlichen Ereignissen, aber auch im Gästehaus des Vatikan, Santa Marta, wo Papst Franziskus seit Beginn seines Pontifikates – anders als seine Vorgänger – weiterhin wohnte.
Mit dem Bezug auf den heiligen Franziskus hat Kardinal Jorge Mario Bergoglio von Anfang an Zeichen gesetzt. Ich habe ihn als eine beeindruckende Persönlichkeit vor Augen! Er hat in seiner Bescheidenheit, Zugewandtheit zu allen Menschen, die ihm begegneten, in seinem Humor und der ihm eigenen unkonventionellen Art, auf Menschen zuzugehen, in seiner Amtsführung Zeichen gesetzt – ganz im Sinne des Franz von Assisi. Franziskus war für mich ein überzeugender Repräsentant der ganzen Christenheit.
Zwei Szenen sind mir besonders in Erinnerung. Zu seinem Geburtstag im Dezember 2014 habe ich eine eindrückliche Szene vor Augen, dass einige südamerikanische Freunde des Papstes mit Kind und Kegel aus Argentinien gekommen waren und ihm im Gästehaus Santa Marta zum Frühstück ein Ständchen brachten und das ehrwürdige Gästehaus im Handumdrehen in eine fröhliche und heitere Tango-Party-Stimmung versetzten. Papst Franziskus in der Eingangshalle von Santa Marta in der Mitte einer feiernden und tanzenden Gemeinde!
Bei meiner letzten Begegnung mit ihm zur Woche für die Einheit der Christen im Januar 2024 wunderte er sich, als ich ihm sagte, dass ich nun als 66-jähriger Bischof in den Ruhestand gehen würde und mich von ihm als Botschafter der lutherischen Kirchen in Deutschland verabschieden müsse; er fragte erstaunt und interessiert, wieso denn in den lutherischen Kirchen die Bischöfe schon im reifen Knabenalter in den Ruhestand gehen müssen. Ich könne bei ihm gerne eine Verlängerung der Dienstzeit beantragen.
Jede noch so kurze Begegnung beendete Papst Franziskus mit der brüderlichen Bitte, für ihn und seine schweren Aufgaben zu beten und ihm vor allem im Gebet verbunden zu bleiben.
In seinen Enzykliken, in seinen Reden und Predigten ist und war er ein großer Seelsorger in unsicheren Zeiten – und hat die Aufgabe aller Christenmenschen, angefochtenen und verunsicherten Menschen in ihren Lebensverhältnissen und an ihren Lebensorten uneingeschränkt beizustehen und sie zu trösten, ganz nach vorne gestellt. In dieser seiner Persönlichkeit ist und war Papst Franziskus für mich ein großer und überzeugender Repräsentant der ganzen Christenheit.
Sein Verhältnis zum Luthertum
Papst Franziskus hat auch im ökumenischen Miteinander der Kirchen Zeichen gesetzt. Sein Besuch 2016 in Lund im Vorfeld des Reformationsjubiläums ist unvergessen. Dort besuchte er den Lutherischen Weltbund und feierte mit Lutheranern aus aller Welt Gottesdienst in der Kathedrale zu Lund; anschließend wurden im Stadion zu Malmö im Beisein von Papst Franziskus großartige gemeinsame Projekte von Caritas und Diakonie aus aller Welt präsentiert und die tiefe ökumenische Freundschaft zwischen römischen Katholiken und Lutheranern gefeiert, erneuert und für die Zukunft besiegelt.
Im Vorfeld dieser Begegnungen hat Franziskus in einem langen Interview seine persönliche geschwisterliche Verbindung zur lutherischen Kirche am Rio de la Plata beschrieben und sehr positiv gewürdigt. Die lutherische, im Vergleich zum römischen Katholizismus eher karge Liturgie und schlichtere Spiritualität, das entschiedene Eintreten für die Armen im diakonischen Handeln und das unerschrockene Glaubenszeugnis hat Papst Franziskus an den Lutheranern sehr geschätzt – so hat er in diesem Interview in 2016 und zu anderen Gelegenheiten immer wieder betont. Er habe seit seiner Zeit als Bischof in Buenos Aires sehr tiefe freundschaftliche Verbindungen zum lutherischen Glauben und zu lutherischen Christenmenschen.
Was Papst Franziskus in diesem Interview in der internationalen Jesuitenzeitschrift „La Civiltà Cattolica“ dargelegt hat, hat er in seinen Begegnungen mit uns lutherischen Christenmenschen auch gelebt. Dafür bin ich ihm von Herzen dankbar! Das hat auch für die Zukunft Maßstäbe gesetzt und das sollten die Lutheraner weltweit stets in Erinnerung behalten und als ökumenische Verpflichtung für die Zukunft verstehen, den eigenen Glauben nicht ohne die Gemeinschaft mit den römisch-katholischen Christenmenschen leben und gestalten zu wollen!
Was wird bleiben?
Seine deutlichen Zeichen und Signale für eine bescheidene und sich den Armen und Angefochtenen im Namen Jesu zuwendende Kirche. Das beginnt mit seiner Namensgebung für das Pontifikat und viele andere Zeichen.
Vor dem Empfang der akkreditierten Vatikanbotschafter aus aller Welt im März 2023 feierte er zuerst mit Reinigungskräften, Gärtnern und allen Angestellten des Vatikan eine Messe. Dann erst hatte er Zeit für die ehrwürdigen Botschafter. Er rief per Telefon Briefschreiber an, besuchte Obdachlose, feierte regelmäßig Messe im Frauengefängnis und wusch den weiblichen Häftlingen die Füße am Gründonnerstag, nahm spontan einen Bekannten im Papamobil mit, als er ihn in der Menge entdeckte, ließ Duschen für die Obdachlosen bauen, die in der Nähe der Peterskirche übernachten – und lud mehrfach Häftlinge zum Essen nach Santa Marta, in das Gästehaus des Vatikan, ein – und wollte wohl wegen seiner Verehrung für Maria, die Mutter Jesu Christi, nicht in der Peterskirche, sondern in Santa Maria Maggiore beigesetzt werden.
Seine Enzykliken widmeten sich seit „Fratelli tutti“ immer wieder dieser Bitte an die weltweite Kirche jeglicher Konfession, sich geistlich zu erneuern und erneuern zu lassen – und sich ganz in den Dienst der Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswelt zu stellen.
Aus dieser Haltung heraus bezog Papst Franziskus auch unverblümt und direkt zu politischen Themen und Entwicklungen Stellung – im Sinne der Aufgabe der Politik, den Menschen zu dienen, für Gerechtigkeit zu sorgen, Notleidenden zu helfen und die Macht des Geldes und die Fratze des ungehemmten Kapitalismus zu enttarnen.
Es wird bleiben sein Kampf für die Synodalität seiner eigenen Kirche – ein großartiger und entschiedener Reformversuch. Die Synodalität der Kirche, die das zweite Vatikanische Konzil entdeckt und beschrieben hat, neu zu leben, dafür kämpfte Papst Franziskus.
Es ging darum, die regionale Verantwortung der weltweiten Kirche zu stärken; „Ruft nicht in den Dingen, die ihr selbst viel besser entscheiden könnt, immer in Rom an“, sagte er einmal. Er wollte eine entschiedene Reform seiner Kirche, sprach und warb dafür unermüdlich – und kam dabei bisweilen in Widersprüchlichkeiten.
Nach der Amazonassynode, die in Fragen des Frauendiakonates deutliche Forderungen aufstellte und vom Papst Unterstützung erwartete, schwieg er. Er sah sich aus verschiedenen Regionen der römischen Weltkirche scharfer Kritik ausgesetzt und parierte die unerschrocken. Er löste Bischöfe ab, die in den Fragen des Missbrauchs nicht entschieden genug handeln oder selbst schuldig geworden waren – und findet deutliche Worte der Selbstkritik der Kirche.
Es bleibt das Reformprogramm für seine Kirche, nämlich ihre synodale Verfassung neu zu entdecken und umzusetzen. Mehr Beteiligung des gesamten Gottesvolkes, mehr regionale Entscheidungskompetenz. Es wird deshalb aus seinem Pontifikat in dieser Hinsicht die Erkenntnis bleiben, dass die Reform der Kirche aus dem Geist Christi – in jeder konfessionellen Prägung – eine schwere, fordernde, aber nötige Aufgabe der Kirche ist.

Papst Franziskus (mitte) 2014 mit Spitzenvertretern der deutschen Lutheraner. Links neben dem Papst der Leitende Bischof der VELKD, Bischof Gerhard Ulrich, neben ihm (v.r.) der Catholica-Beauftragte der VELKD Karl-Hinrich Manzke, Oberkirchenrat Norbert Denecke, Oberkirchenrat Oliver Schuegraf, Pfarrerin Andrea Wagner-Pinggera und Florian Huebner. Rechts neben dem Papst der Praesident des Paepstlichen Rates zur Foerderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, der katholische Magdeburger Bischof Gerhard Feige, Dionisie Nicolae Arion, Stipendienreferent des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes (DNK/LWB), Dorothee Kaes, Referentin bei der Deutschen Bischofskonferenz, und Monsignore Matthias Tuerk.