Der Lutherische Tag 2024 – Rückblick

Ein Bericht vom 1. Juni 2024 von Lucian Dörfel, Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses

Am 30. Mai 2024 fand in der Kapelle des Leipziger Missionswerkes erneut der Lutherische Tag des Lutherischen Einigungswerkes (LEW) unter dem Titel „Lutherische Identität“ statt, angelehnt an das Thema der Generalsynode der VELKD im November 2023.

Eröffnet wurde der Tag mit einem Wortgottesdienst, zu dem Bischof Hans-Jörg Voigt D. D. (SELK) in Bezug auf die Artikel IV und V des Augsburger Bekenntnisses von 1530 darüber predigte, womit die Kirche stehe und falle. „Rechtfertigung“ bedeute vor allem Trost der gläubigen Herzen durch Heilsgewissheit. Dies sei keine abstrakte Lehre. Rechtfertigung geschehe, wenn gepredigt, absolviert und Abendmahl gefeiert wird. Der daran geknüpfte Trost und die Heilsgewissheit seien das, woran der Kirche alles gelegen sei.

Im ersten von zwei Referaten zum Titelthema stellte Dr. Stephan Schaede, Leiter des Amtsbereiches der VELKD und Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD, in neun Punkten dar, wie sich „Lutherische Identität“ einerseits heute vorfindet und andererseits am kritischen Diskurs zu beteiligen habe. In der anschließenden Aussprache wurde Bezug genommen zu unterschiedlichen Aspekten des Referats: Schaede übte Kritik an der im hohen Maße eingeforderten Authentizität von Predigern, welche zur Selbstursache des Predigens verkomme. Daneben machte er aufmerksam auf die Problematik, dass Selbstvergebung kein Weg der Aufarbeitung sexueller Missbräuche im kirchlichen Raum sein könne, sondern stattdessen eine angemessene Buß- und Beichtpraxis gefunden werden müsse. Des Weiteren brachte er den Begriff christlicher Freiheit im Zusammenhang um ungewollte Schwangerschaften zur Sprache, die durch ihr Ungewollt-Sein gerade keine Freiheit zur Entscheidung in sich bergen. Zudem zeigte Schaede eine Lücke christlicher Glaubensreflexion auf, welche, statt durch selbstbeweihräuchernde Jubiläen, durch eine „dogmatische Kirchengeschichte als Auseinandersetzung mit Gott“ – so wie sich das Volk Israel im AT mit Gott ringend auseinandersetzte – gefüllt werden solle.

Als Letztes merkte Schaede an, dass angesichts der Gewissensaporien vieler Klimaprotestler die Kirche ihre Bildungsaufgabe als Gewissensbildung – in der Kunst der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium – neu wahrzunehmen habe.

Im zweiten Referat näherte sich Dr. Heiko Herrmann, Pfarrer in Neustadt in Holstein, am Nachmittag dem Titelthema von einer anderen Seite an. Er problematisierte zunächst den Begriff der „Identität“. In ihm käme zunächst das „Eigene“, „Besondere“, das „Ich“ bzw. „Wir“ in Abgrenzung zum anderen zum Ausdruck. Auch der Begriff „Lutherisch“ berge die Gefahr in sich, zur Verehrung von Idolen zu führen, die ihren Ausdruck in einer sich kirchlich von Anderen trennenden Sonderheit begreife. Von den Reformatoren aus sei dies zu kritisieren, ginge es ihnen stets darum, das eine, zeitlich beständige, aber verdeckte Christensein aufzudecken, um sich neu in das eine Wort Gottes zu vertiefen. In diesem Sinne wollten die Reformatoren „katholische“, d. h. „allgemeine“ Kirche sein. Die Rechtfertigungslehre sei keine Sonderlehre, sondern Zeichen der Einheit aller Christen zu jeder Zeit. Von hier aus seien auch die Bekenntnisschriften der lutherischen Kirchen zu kritisieren, da diese in ihrer Handhabung stets dem biblischen, kanonischen Wort Gottes untergeordnet und in jeder Generation neu geprüft werden müssten. Gerade das, was Kirche sei, würde in den lutherischen Bekenntnisschriften nicht ausreichend behandelt, angesichts der Fragen und Herausforderungen heutiger Zeit. Kirche aber als der Ort, wo sich Rechtfertigung ereignet, sei ein radikal aktualisierender Kirchenbegriff: „Kirche ‚ist‘ nicht, sondern ‚erweist‘ sich.“ „Lutherische Kirche“ und „Lutherische Identität“ könne nur als schmerzliche „Proexistenz“ im Gegenüber zur römisch-katholischen Kirche beschrieben werden. Doch sei damit zugleich die Chance eröffnet, über Konfessionsgrenzen hinweg zu schauen, wo gute theologische Lehre vorhanden wäre, um den Herausforderungen der heutigen Zeit zu begegnen.

Mit der sich anschließenden und für Gäste geöffneten Mitgliederversammlung des LEW wurde am Nachmittag der Lutherische Tag 2024 mit einem Reisesegen von Pfarrer Falk Klemm, Vorsitzender des LEW, beschlossen.

Das LEW besteht seit 1868 und ist ein Werk der VELKD. Aus dem LEW gingen sowohl die VELKD als auch der Lutherische Weltbund hervor. Jährlich lädt es an Fronleichnam zum Lutherischen Tag ein. Der aktuelle Vorsitzende ist Pfarrer Falk Klemm (Ehrenfriedersdorf).